Die Völkerschlacht bei Königswald

 Fritz Roeder

An einem wunderschönen unschuldigen Sommertag spielten wir Buben „Befreiungskrieg”. Die vom Oberdorf und wir vom Unterdorf. Irgendwo, das war vereinbart, würden wir aufeinanderstoßen. Klepsch Dolfi als Kaiser Napoleon I. rückte mit seinen Marschällen und der Armee aus der Richtung Maierhof heran. Auf einem Hügel, die Hand zwischen den Brustknöpfen verharrte er und erteilte Befehle. Klimt Willi, den Zaren mimend, marschierte mit seinem Heer und den Österreichern und Preußen geradewegs auf ihn zu. Eigentlich ritt er. Zosel Richard, ein Dremel von Burschen, war sein Schlachtroß, das ihn trug. Freilich nicht immer und lange. Die „Plautze” setzte aus.

Ich hatte mich in die Person des Freiheitskämpfers Theodor Körner verwandelt, dessen patriotische Lyrik mir gefiel, und der 1813 sein junges Leben ließ. Uns aber kam es nicht auf Wiedergabe wortgetreuer Historie an, sondern auf die Spannung, auf das Spiel. Der kleine Paul Pepsch, der, wie etliche weiterer Jungens, zum Beispiel Umlauft Emil und Lehmann Erwin, weit jünger war, doch mitmachen durfte, weil Ordonanzen und viel Fußvolk gebraucht wurde, zitterte am ganzen Körper vor lauter Draufgängertum und Freude. Eichler Erich, an meiner Seite, der auch zum Lützow'schen Freikorps gehörte, beschaute sich ihn lächelnd.

Wir standen in Marschordnung. „Zar Alexander I." an der Spitze hob die Hand. Die Verbündeten setzten sich in Bewegung, jede Deckung suchend. Weigend Artur, sein Adjutant, zu dieser Zeit noch ein gesunder Junge, meldete, daß die Franzosen vermutlich auf das Rabenhaus zurückten. Ein Späher, der auf einem Umweg herangeschlichen war, bestätigte diese Vermutung. Wir berieten und der „Zar” befahl, unverzüglich auf das Rabenhaus vorzugehen. „Artillerie !” schrie plötzlich einer und wahrhaftig, das Ding, das die „Franzosen” mit sich zogen, sah ganz nach Kanone aus. Das war freilich weiterer Anlaß, uns in eine Schlachten-Mystifikation zu steigern.

Unweit vom Rabenhäuschen stießen wir auf den Gegner. Unter der Trikolore der Löbel Fred, Zehart Rudi, Hieke Richard, Püschner Gustl, Pursche Ernst u. a. feindliche Reiter schwärmten aus. Wir sahen den Funkenschlag der Hufe. Am Rande des Schlachtfeldes tauchten mit einem Male Klassenkameradinnen auf. Sie wollten uns sicher die Wunden kühlen und versorgen. „Die Feldküche ist da”, lachten die Buben. Wie kamen die aber hierher ? Sie mußten uns beobachtet haben. Diese Kaden (Mädchen) ! Außer der Hilde und der Erna Model erblickte ich mit einem Male die Walter Martl, die Ettrich Anni, das Bayl Mariechen und das Mariechen Rot. Hemmend, Mädchenblicke im Rücken zu verspüren, die sich womöglich über uns lustig machten.

Marschall Vandamme, von Bruno Fuchsa verkörpert, riß uns aus der Grübelei. Er blies zum Angriff und ging vor. „Napoleon”, als Schlachtenlenker, blieb mit seinen Flügeladjutanten zurück. Da kam mir der Gedanke, eine kühne Attacke zu reiten und den „Kaiser” einfach gefangen zu nehmen.

„Alexander I.” hatte „Vandamme” schon am Wickel. Beide stürzten von ihren Rössern, balgten sich, gleich den hohen Vorbildern. Schon waren die „Armeen” in einem saftigen Gemenge, daß es nur so knallte, und ich war im Begriff mit den Brüdern Storek mir den „Napoleon” zu schnapppen, als mitten unter uns, im schönsten Schlachtgetümmel, die Lehrer Mucziczek und Bittner - Bittner dazumal noch nicht Oberlehrer - dastanden, als seien sie uns wie giftige Pilze aus dem Boden gewachsen. Bittner als Schlachtengott ! Die „Völkerschlacht” war jedenfalls zunächst einmal beendet.

„Bittner auf der Pirsch !” „Oder auf dem Weg ins Wirtshaus”, meinte einer der Buben gallig. Er trug auch einen feschen Weidmannsanzug und ein Fernglas. Die beiden Lehrer mochten sich getroffen haben, naturverbunden wie beide waren. Dem Mucziczek galt unsere Sympathie, dem Bittner weniger, der unheilverkündend dastand und zu einem wuchtigen Donner und Doria ansetzte.

Diesmal aber kam er bei uns Raufbolden nicht an. „Wir haben Ferien!" maulten wir entschlossen und bildeten einen drohenden Halbkreis. Lehrer Mucziczek flüsterte seinem Kollegen etwas ins Ohr. Erstaunt drehte er seinen Kopf zu Mucziczek, als habe er nicht recht verstanden. Aber da kam ihm so etwas wie Erleuchtung. „Spielt weiter!" knurrte er großzügig, als habe er sich eines Besseren besonnen. Mucziczek zwinkerte uns aus listigen Augen zu.

Verdrossen schauten wir ihnen nach. Dann folgten wir den anderen Buben, die sich bereits zu den Mädchen gesellt hatten. Martl versuchte mit einem Destillat von Bail oder Püschner zu trösten. Als Gastwirtstochter wußte sie, was »harte Männer" brauchen. Doch wir schüttelten uns; in diesen jungen Jahren war man noch mehr für das „Süße”. Ein „Medicus” wäre uns leichter über die 'Lippen geronnen.

Die »Kriegsteilnehmer" an dieser denkwürdigen „Völkerschlacht”, die kraft „höherer Gewalt” nicht zu Ende gefochten wurde, wurden außer Eichler und Fuchsa, die bereits im blühenden Knabenalter ihr Leben lassen mußten, Kriegsteilnehmer von 1939/45 oder in andere Verwirrungen jener Zeit verstrickt. Nichts ist von ihnen geblieben als die Erinnerung an sie.

Das Rabenhaus oder auch Rabenhäuschen genannt, war reizvoll gelegen und Ziel mancher Ausflügler. Nahe dem Ort am Waldrand zog es die Königswälder dorthin, zu einem Glas Bier oder zum Tanze. „Hier baue ich mir mal ein Haus und werde Dichter”, sagte ich zu meinen Freunden, die an die Stirne tippten. Ein Zeichen, das ich verstand.

 

Quelle: Artikel aus "Trei da Hejmt",
   Mitteilungsblatt für den Heimatkreis Tetschen-Bodenbach/Sudetenland,
   26. Jahrg. Nr. 15/16; August 1973

letzte Aktualisierung am 08.04.2005